Lernen und Lehren mit Medien und über Medien
Der mediale Habitus und die Ausbildung medienpädagogischer Kompetenz bei angehenden Lehrkräften
Technische Universität Berlin
Dr. Sue-Ann Bäsler hat Neuere Deutsche Literatur und Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Medienpädagogik und -forschung an der Freien Universität Berlin studiert. Ihre Abschlussarbeit widmete sie der Internetkompetenz von Grundschulkindern. Nach studentischen Tätigkeiten als Forschungsassistentin (FU Berlin) und Tutorin (TU Berlin) absolvierte sie ein Volontariat beim Cornelsen Verlag Berlin im Bereich Digitale Bildungsmedien. Seit der Übernahme in die Festanstellung ist sie als Prozess- und Projektmanagerin für Digitale Medien zuständig. Ihrem wissenschaftlichen Interesse für medienpädagogische Themen folgend, promovierte sie nebenberuflich im Bereich Bildungswissenschaften an der TU Berlin zum medialen Habitus von angehenden Lehrkräften.
Expertise
- Qualitative Forschungsmethoden
- medialer Habitus
- medienpädagogische Kompetenz und Medienbildung in der Lehrkräftebildung
Interessant für
- Anbieter*innen von Bildungsmedien
- Referent*innen im Bereich Medienbildung
- Beteiligte an der Lehrkräftebildung
Schlagworte
medialer Habitus, Medienbildung, Lehrkräftebildung, medienpädagogische Kompetenz, Implikationen
Zusammenfassung
Medienbildung ist eine wichtige Investition in den Menschen, um Teilhabe, Persönlichkeitsentwicklung und individuelle Lebensgestaltung zu ermöglichen und kann in allen Bereichen institutionalisierter Bildung stattfinden (Eickelmann, Aufenanger & Herzig, 2013). Neben einer medienpädagogischen Ausbildung für Lehrkräfte kann auch deren Einstellung zu den Neuen Medien im Bildungskontext einen Erfolgsfaktor bzw. ein Hemmnis für erfolgreiche Medienbildung in Schule und Unterricht darstellen (vgl. z. B. Biermann, 2009; Mayrberger, 2012; Biermann, 2013; Scheuble, Signer & Moser, 2014a; Lorenz, 2018). Bezugnehmend auf eine weniger erfolgreiche Medienbildung, wird der mediale Habitus (Swertz, 2011) von Lehrkräften, beruhend auf dem Habituskonzept von Pierre Bourdieu (1983, 1987, 2005), als Erklärungsmoment angeführt (Kommer & Biermann, 2012). Die vorliegende Forschungsarbeit widmet sich der Fragestellung, ob und inwiefern die universitäre Lehrkräftebildung auf den medialen Habitus von Lehramtsstudierenden einwirkt. In einem qualitativen Forschungsdesign wird untersucht, inwiefern sich medienpädagogische Ausbildung und medialer Habitus von Lehramtsstudierenden gegenseitig bedingen. Das Ziel der Forschungsarbeit ist die Benennung von Implikationen für eine Verbesserung der Medienbildung und medienpädagogischen Ausbildung in der Lehrkräftebildung.
Folgende Forschungsfragen wurden bearbeitet:
1. Ob und inwiefern bedingen die universitäre medienpädagogische Ausbildung und der mediale Habitus von Lehramtsstudierenden einander?
2. Kann die universitäre Ausbildung zur Entwicklung des medialen Habitus der Lehramtsstudierenden beitragen? Und wenn ja, lassen sich günstige und ungünstige Faktoren für die Entwicklung des medialen Habitus während der Ausbildung benennen?
Für die Beantwortung der Forschungsfragen wurden Unterfragestellungen formuliert, die sich an dem Modell medienpädagogischer Kompetenz (Blömeke, 2003) und dem Konzept des medialen Habitus (Kommer & Biermann, 2012) orientieren. Daran orientiert wurde der Interviewleitfaden aufgebaut und die Ergebnisse mit der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2000, 2003, 2005, 2010) analysiert. Es wurde ein induktiv abgeleitetes Kategoriensystem ermittelt.
Forschungsdesign:
• Datenerhebung: Ein Messzeitpunkt im WS 13/14; N = 15 Studierende an zwei deutschen Universitäten: Medienuniversität (mit curricularem medienpädagogischen Schwerpunkt) + Vergleichsuniversität (ohne curricularem medienpädagogischen Schwerpunkt) (vgl. Kelle & Kluge, 2010); qualitative Leitfadeninterviews, Telefoninterviews (via Skype)
• Datenaufbereitung: Transkription (unterstützt mit f4)
• Datenanalyse: inhaltlich-strukturierende Qualitative Inhaltsanalyse (Mayring, 2010); systemische Unterstützung: MAXQDA Software zur qualitativen Datenanalyse (Kuckartz, 2012)
• Ergebnis der Datenanalyse: induktiv ermitteltes Kategoriensystem
• Auswertung der Daten in drei Schritten: 1. Verschriftlichung des gesamten Kategoriensystems mit Textbelegen und 2. Interpretation des Kategoriensystems im Sinne der Forschungsfragen sowie 3. Diskussion der Ergebnisse
Interpretation der Ergebnisse im Sinne der Hauptfragestellungen.
Die Ergebnisse aus den Interviews, die mit den Lehramtsstudierenden geführt wurden, führen zu dem Schluss, dass die Studierenden das, was sie selbst als einseitigen und „langweiligen“ Medieneinsatz vonseiten der Dozierenden wahrgenommen haben, in ihrer eigenen Berufsausübung anders gestalten wollen. Das heißt, sie haben reflektiert, dass sie sich einen abwechslungsreicheren Medieneinsatz wünschen, und ihnen ist bewusst geworden, dass sie mit einem abwechslungsreicheren Medieneinsatz in ihren eigenen Unterrichtsstunden einen besseren Unterricht gestalten können.
Als günstige Einflussfaktoren auf den medialen Habitus der Lehramtsstudierenden vonseiten der Universität können an dieser Stelle Abwechslung und Interaktion beim Medieneinsatz genannt werden. Demnach würden Lehramtsstudierende, die den Medieneinsatz ihrer Dozierenden während der Ausbildung als positiv und gewinnbringend einschätzen, selbst bei der Gestaltung von Unterricht Medien einsetzen.
Weiterhin kann herausgestellt werden, dass manche der befragten Lehramtsstudierenden von einer gesteigerten Mediennutzungskompetenz während der Ausbildung berichten. Dies gilt jedoch eher für die Studierenden der Medienuni und seltener für die Studierenden der Vergleichsuni. Diese Studierenden fühlen sich sicherer und besser vorbereitet, wenn sie an die Aufgabe der Medienerziehung in ihrer späteren Berufsausübung denken. Es wird vermutet, dass diese Studierenden in ihrem medialen Habitus, also in ihren medienbezogenen Handlungs- und Deutungsmustern, eher zu einer erfolgreichen Medienbildung in Schule und Unterricht beitragen werden als die andere Kohorte.
Die günstige Mediennutzung und gesteigerte Mediennutzungskompetenz der Studierenden wird der eigenen Unterrichtsvorbereitung zugeschrieben. Der Grund liegt in fehlenden studienbegleitenden Impulsen für die Studierenden. Etwas positiver wird die Verbindung von informellen Medien zu Schule und Unterricht gesehen: Zum einen ist den befragten Lehramtsstudierenden die mediale Realität ihrer zukünftigen Schülerinnen und Schüler wichtig. Zum anderen haben sie während ihres Studiums informelle Medien (beispielsweise soziale Netzwerke und Messenger Dienste) für ihre eigene Studienorganisation benutzt. Es wird also vermutet, dass sie die Verknüpfung von informellen Medien zu Schule und Unterricht bei ihren zukünftigen Schülerinnen und Schülern unterstützen werden. Begründet wird dies dadurch, dass sie diese selbst in ihr mediales Handeln übernommen haben und als positiv für die Ausbildungssituation bewerten.
Manche der befragten Lehramtsstudierenden haben angegeben, dass sie im Einsatz digitaler Medien im Unterricht keinen Mehrwert erkennen. Dafür werden verschiedene Gründe vermutet: Zum einen kann dies daran liegen, dass sie selbst keinen gewinnbringenden Einsatz digitaler Medien von ihren Dozierenden erlebt haben und ihnen somit die entsprechenden Impulse fehlen. Zum anderen haben sie teilweise schlechte Erfahrungen mit einem einseitigen, „langweiligen“ Medieneinsatz gemacht und ziehen daraus den entsprechenden Schluss, selbst in der eigenen Unterrichtsgestaltung auf Medien im zu verzichten. In beiden Fällen ist von einem UNGÜNSTIGEN Einfluss vonseiten der Universität zu sprechen. Als GÜNSTIG hingegen wird das Angebot eines curricularen Medienschwerpunktes, den die Studierenden wählen können, bewertet. Als GÜNSTIG ist auch die Haltung fast aller befragten Lehramtsstudierenden zu bewerten, die impliziert, dass alle Medien einen Bildungswert haben. Diese positive Grundhaltung kann, nach Auswertung der Interviews, NICHT der jeweiligen Universität zugeschrieben werden, sondern dem vorhandenen medialen Habitus. Weitere günstige und ungünstige Einflussfaktoren auf den medialen Habitus der befragten Lehramtsstudierenden konnten ermittelt werden. Es wurden die medialen Habitustypen digitaler Fan und digitaler Pragmatiker ermittelt: Es wird davon ausgegangen, dass sich die zugeschriebenen Deutungs- und Handlungsmuster des digitalen Fans positiv auf dessen medienpädagogische Ausbildung auswirken, da er sich eher für medienbezogene Angebote entscheidet. Es wird auch davon ausgegangen, dass der digitale Pragmatiker mehr mittels extrinsischer Motivation zur innovativen Medienbildung in Schule und Unterricht angeleitet werden muss, da ihm das Interesse und die Begeisterung für Neue Medien nicht innewohnen wie beim Digitalen Fan. Der Digitale Fan muss demnach nicht mehr von der Notwendigkeit einer Medienbildung überzeugt werden. Ihm fehlen zusätzliche Anreize und Handlungsoptionen.
In der Diskussion wurde das Kategoriensystem mit dem Begriff der Strukturalen Medienbildung (Jörissen & Marotzki, 2009) und den Möglichkeiten der Habitustransformation (Biermann, 2013; von Rosenberg, 2011) Iterabilität, Inkongruenz und Mehrdimensionalität diskutiert. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass aus den Ergebnissen Hinweise für Medienbildungsprozesse, die auch transformatorisch auf den medialen Habitus der befragten Lehramtsstudierenden einwirken können, gefunden werden konnten. Ein endgültiger Beweis, ob tatsächlich eine Transformation des Habitus der befragten Lehramtsstudierenden stattgefunden hat, konnte mit der Forschungsarbeit nicht erbracht werden. Dies wird u. a. im Forschungsdesign begründet.
Als Ergebnis der Forschungsarbeit können theoretische und praktische Implikationen für die Verbesserung der Medienbildung in der Lehrkräftebildung benannt werden:
Plädoyer für ein Langzeitstudiendesign zur Erforschung der Transformation des medialen Habitus: Die Forschungsfrage „Ob und inwiefern trägt die medienpädagogische Ausbildung an der Universität zur Formung des medialen Habitus von Lehramtsstudierenden bei?“ kann nur teilweise beantwortet werden. Die befragten Lehramtsstudierenden müssen in einem längsschnittlichen Forschungsdesign erneut befragt bzw. in ihrer Lehrtätigkeit beobachtet werden. Hierfür sollten zeitgemäße und ökonomische Erhebungsmethoden wie beispielsweise Onlinebefragungen in Betracht gezogen werden.
Bildungstheorie(n) stärker in den Fokus nehmen: In der Diskussion wurden die Forschungsergebnisse anhand der Theorie der strukturalen Medienbildung nach Jörissen und Marotzki (2009) erörtert. Es wird an dieser Stelle für eine Bezugnahme auf weitere Modelle zu Bildungstheorien plädiert, da es sich gezeigt hat, dass Bildungsprozesse eine Transformation des (medialen) Habitus hervorrufen können.
Mehrwert für die Nutzung Neuer Medien in Schule und Unterricht vermitteln: Durch mangelnde Thematisierung oder einseitige Auseinandersetzung mit dem Thema Neue Medien in der Lehrkräftebildung kommen Studierende zu dem Schluss, dass in dem Einsatz Neuer Medien im Unterricht kein Mehrwert liegt. Ein zu vermittelnder „Mehrwert“ liegt in den Chancen, die Neue Medien beispielsweise für kollaborative Lernformate, die Anregung von Bildungsprozessen oder für den inklusiven Unterricht bieten. Eine weitere Chance liegt in der Förderung der Lernmotivation und der Medienkompetenz von Schülerinnen und Schülern (Lorenz, 2018, S. 55).
Interesse der Lehramtsstudierenden an Medienbildung wecken und fördern: Lehramtsstudierende haben grundsätzlich ein Interesse am Thema Neue Medien und am Thema Medienbildung in Hinblick auf ihre Ausbildung und spätere Berufsausübung. Dieses Interesse sollte durch die Universität oder Pädagogische Hochschule während der ersten Phase der Lehrkräftebildung in Form von entsprechenden Angeboten und Lerngelegenheiten geweckt und gefördert werden.
Medienbezogene Angebote gezielt für Lehramtsstudierende bereitstellen: Eine Analyse von kommentierten Vorlesungsverzeichnissen hat gezeigt, dass an fast allen untersuchten Universitäten und Pädagogischen Hochschulen eine Vielzahl an medienbezogenen Lehrveranstaltungen bereitgestellt wird. Dennoch mangelt es an lehramtsbezogenen Angeboten im Bereich der Medienbildung (vgl. auch Herzig & Martin, 2018). Dieser Missstand wird auch in den Interviews von den befragten Lehramtsstudierenden zurückgemeldet.
Die medienbezogenen Vorstellungen von Lehramtsstudierenden bei der Ausgestaltung der Lehrkräftebildung berücksichtigen und einen günstigen medialen Habitus fördern: Dies kann mit einer ausgewogenen, variantenreichen, lehramtsspezifischen Medienbildung gelingen (Biermann, 2013). Die Förderung der Reflexion von medialen Handlungspraktiken gehört ebenso dazu.
Dies sind nur einige Beispiele für Implikationen, weitere wurden benannt. Das Thema „medialer Habitus“ von Lehramtsstudierenden als Einflussgröße für das Gelingen schulischer Medienbildung findet in der Forschung und Diskussion breite Beachtung. Die vorliegende Forschungsarbeit leistet, neben einem Beitrag zur medialer-Habitus-Forschung, mit theoretischen und praktischen Implikationen einen Beitrag für die Ausgestaltung von Lehrkräftebildung.
Zitiervorschlag
Repository
depositonce.tu-berlin.deIdentifikatoren
■urn:nbn:de:101:1-2019022001011299155145
■doi: 10.14279/depositonce-7833