Revolución und Narcos: nationale Mythen, Parodie und Satire in Jorge Ibargüengoitias Los relámpagos de agosto und Juan Pablo Villalobos’ Fiesta en la madriguera

Universität Hamburg

Sprache:

Lale Suzan Özren

Lale Özren schloss 1993 ihr Magister-Studium in Spanisch, Altamerikanistik und Turkologie an der Universität Hamburg ab. Nach diversen Lebens- und Karrierestationen als Unternehmerin in Spanien, Spezialistin für Digitalisierung in der Bildung und Übersetzerin von Serien und Filmen beschloss sie 2017, ihre Promotion nachzuholen, die die Erkenntnisse aus der Magisterarbeit über Parodie und Satire weiterführt und auf zeitgenössische mexikanische „Narco“-Literatur ausweitet. Die Promotion wurde Ende 2022 erfolgreich abgeschlossen. Derzeit verfolgt Lale Özren intensiv ihre Übersetzungs- und Lokalisierungsprojekte aus dem Spanischen und Englischen.

Auf einen?

Expertise

  • Parodie und Satire
  • (Nationale) Narrative
  • Narco-Literatur

Interessant für

  • Literaturwissenschaftler:innen
  • Romanistiker:innen
  • Mexiko-Interessierte
Photo / Lale Suzan Özren
Lale Suzan Özren

Lale Özren schloss 1993 ihr Magister-Studium in Spanisch, Altamerikanistik und Turkologie an der Universität Hamburg ab. Nach diversen Lebens- und Karrierestationen als Unternehmerin in Spanien, Spezialistin für Digitalisierung in der Bildung und Übersetzerin von Serien und Filmen beschloss sie 2017, ihre Promotion nachzuholen, die die Erkenntnisse aus der Magisterarbeit über Parodie und Satire weiterführt und auf zeitgenössische mexikanische „Narco“-Literatur ausweitet. Die Promotion wurde Ende 2022 erfolgreich abgeschlossen. Derzeit verfolgt Lale Özren intensiv ihre Übersetzungs- und Lokalisierungsprojekte aus dem Spanischen und Englischen.

Auf einen?

Expertise

  • Parodie und Satire
  • (Nationale) Narrative
  • Narco-Literatur

Interessant für

  • Literaturwissenschaftler:innen
  • Romanistiker:innen
  • Mexiko-Interessierte

Interview

Niklas Heuser
Redakteur

Anhand zweier Romane untersuchst Du in Deiner Dissertation die nationalen Mythen Mexikos. Was ist ein nationaler Mythos und inwieweit kann man Revolución und Narcos als mexikanische Mythen bezeichnen?

Lale Suzan Özren
schreibt…
Niklas Heuser
Redakteur

Anhand zweier Romane untersuchst Du in Deiner Dissertation die nationalen Mythen Mexikos. Was ist ein nationaler Mythos und inwieweit kann man Revolución und Narcos als mexikanische Mythen bezeichnen?

Lale Suzan Özren
Doktorandin

Ein nationaler Mythos ist eine sinnstiftende Erzählung, ein Narrativ, das allen Zugehörigen zu einer Gemeinschaft — in diesem Fall der Nation — bekannt ist und das sie als eine Art Weltwissen verinnerlicht haben. Oft handelt es sich um einen Gründungsmythos wie dem Mythos „Revolución“: Die Verbreitung der nationalen Erzählung, auch durch Massenmedien und Politik, hat seit dem Ende der mexikanischen Revolution ein Bild geschaffen, mit dem sich die mexikanische Mehrheitgesellschaft identifizieren kann: Die Nation wurde durch das Aufbegehren und die Ermächtigung der unterdrückten Landbevölkerung und der Indigenen erst zu der Nation, die Mexiko heute ist. Nahezu umgekehrt verhält es sich mit dem Mythos „Narcos“: Sicherlich ist die Gewalt des Drogenkrieges nicht identitätsprägend; allerdings ist der zur Schau gestellte Reichtum und die Allmacht der Drogenbosse auch eine Erzählung von sozialem Aufstieg, also ebenfalls von Ermächtigung. 

Niklas Heuser
Redakteur

Die Romane Los relámpagos de agosto von Jorge Ibargüengoitias und Fiesta en la madriguera von Juan Pablo Villalobos behandeln die Themen Revolución und Narcos mit parodistischen und satirischen Mitteln. Welchen Effekt hat das?

Lale Suzan Özren
Doktorandin

Im Falle von „Los relámpagos de agosto“ werden die nachrevolutionären politischen Schachereien und Machtspiele satirisch angeprangert, und zwar über die Parodie von zur Zeit der Veröffentlichung sehr zahlreichen und populären „Autobiographien“ von ehemaligen Revolutionsteilnehmern, die oftmals nur selbst-beweihräuchernde Rechtfertigungspamphlete waren. „Fiesta en la madriguera“ spielt im klandestinen Palast eines Drogenbosses, dessen kleiner Sohn, der Erzähler des Romans, im naiven Plauderton allerlei Grausamkeiten aus seiner Welt — er kennt keine andere — wiedergibt und somit den Lesenden erschreckend vor Augen führt, wie „normal“ die Welt der Narcos wirken kann.
Der (teilweise) schwarze Humor beider Romane bewirkt wie jede gute Satire eine distanzierte Sichtweise und ermöglicht durch das befreiende Lachen, mit den erschütternden Ereignissen der faktischen Wirklichkeit fertig zu werden.

Niklas Heuser
Redakteur

Wie schätzt Du den Einfluss solcher mexikanischen Literatur auf die mexikanische Gesellschaft und deren Wirklichkeit ein?

Lale Suzan Özren
Doktorandin

Ein parodistisch-satirischer Ansatz erleichtert die Infragestellung von verfestigten Meinungen und nationalen Mythen. Da ein wesentliches Element von „mexicanidad“, also eines mexikanischen Selbstverständnisses, der schwarze Humor ist, der alles und jeden in Frage stellt, bieten diese Romane eine Art Selbst-Bestätigung eben dieses Selbstbildes. Denn nur mit einem von kritischem Humor geprägten Blick ist es möglich, angesichts allgegenwärtiger Grausamkeiten, Gewalt, Ungerechtigkeiten und Straflosigkeit nicht zu verzweifeln. Allerdings ist der Einfluss von Literatur auf die gesamte heutige Gesellschaft sicherlich als gering einzuschätzen; daher könnten Verfilmung oder eine Serie gewiss eine breitere Öffentlichkeit erreichen.

Zusammenfassung

Die mexikanische Revolution und ihre wirkmächtigen Mythen wie der zum Nationalhelden stilisierte Francisco „Pancho“ Villa sowie die mythisierten Darstellungen des omnipotenten und gefährlichen Drogenbosses, des Narco, sind Identifikationsfiguren für Teile der mexikanischen Bevölkerung und prägen deren Selbstbild. Beide nationale Mythen teilen die Elemente der Rebellion gegen institutionelle Macht sowie die Legitimation von Gewalt und werden in dieser Arbeit als Facetten eines einzigen Mythos verstanden. Basierend auf der These, dass Parodie eine „Antwort auf die Macht“ sei, stellt diese Arbeit die disruptiven Aspekte von Parodie und Satire heraus. Parallel zum parodistischen Bruch mit literarischen Gattungskonventionen stellen die Romane „Los relámpagos de agosto“ von Jorge Ibargüengoitia (1964) und „Fiesta en la madriguera“ von Juan Pablo Villalobos (2010) jeweils die Mythen Revolución und Narcos in der extrafiktionalen Welt satirisch in Frage. Die subversive und respektlose Haltung von Parodie und Satire wird als disruptive Kraft im Sinne einer Ermächtigung verstanden — ebenso wie der den Mythen innewohnende Aspekt der Ermächtigung durch den Normbruch: die Befreiung von Strukturen und Alterhergebrachtem.

Schlagworte

Literatur, Literatur und Gesellschaft, Revolution, Revolución, Narco, Mythos, Mexiko, mexicanidad, Parodie, Satire, Jorge Ibargüengoitia, Juan Pablo Villalobos

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Zitiervorschlag

Özren, Lale Suzan. Revolución und Narcos: nationale Mythen, Parodie und Satire in Jorge Ibargüengoitias Los relámpagos de agosto und Juan Pablo Villalobos’ Fiesta en la madriguera. Universität Hamburg, 2023.

Identifikatoren

https://doi.org/10.36197/OPEND.2023.001

doi: https://doi.org/10.36197/OPEND.2023.001