„Man braucht einen langen Atem“

Promovieren in den USA: Eva Bosbach, Leiterin der Nordamerika-Außenstelle der Universität zu Köln in New York, erklärt, wie das funktioniert.
Muzammil Soorma/Unsplash
Kristina Moorehead
Freie Autorin

Was sollte man grundsätzlich wissen, wenn man in den USA promovieren möchte?

Eva Bosbach
Interviewpartnerin

Man sollte sich zunächst die dortige Promotionsdauer vergegenwärtigen: Sie ist mit oftmals sechs bis zwölf Jahren deutlich länger als in Deutschland. Das liegt zum Teil daran, dass die meisten Promotionsprogramme in den USA bereits nach dem Bachelorstudium beginnen und den Master quasi mit einschließen. Ein anderer Faktor für die lange Promotionsdauer in den USA ist, dass es dort keine Habilitation gibt. Die für die akademische Laufbahn nötigen Qualifikationen werden also – zumindest theoretisch – während der längeren Promotionszeit mit erworben. In einigen Fächern gehört deshalb mittlerweile die Postdoc-Phase fest zur Promotion dazu. Auch die übliche Tätigkeit als Forschungs- oder Lehrassistent, die an sich sehr vorteilhaft ist und bei der Finanzierung der Promotion hilft, hat insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften oftmals keinen direkten Bezug zum Dissertationsprojekt und kann deshalb die Promotionsdauer verlängern. 

Wie kann man sich den zeitlichen Ablauf eines Promotionsprogramms in den USA vorstellen?

In den USA gibt es eine Kurs- und eine Dissertationsphase. Der Doktorand absolviert also erst ein bis drei Jahre Kursarbeit mit Pflicht- und Wahlseminaren, speziellen Literaturseminaren („Journal Clubs“) und Kolloquien. In den Natur- und Lebenswissenschaften gibt es zudem Labor-Rotationen. Erst danach folgt die Dissertationsphase, zu der sich jedoch der Übergang – abhängig vom Institut – unterschiedlich gestaltet. Meist geschieht das mit einer umfangreichen schriftlichen Prüfung, manchmal ergänzt durch eine mündliche Prüfung und, je nach Universität, durch weitere Teilleistungen wie Hausarbeiten, publizierte Artikel oder Präsentationen bei Konferenzen. 

Welche Vorteile bietet diese Struktur den Doktoranden?

Die Kursphase als Teil der Promotion erlaubt die Planung des Dissertationsprojekts, die Aufstellung eines Dissertationsexposés und gegebenenfalls Rotationen, um mehrere Arbeitsgruppen und Professoren kennen zu lernen – was wiederum eine gesunde Konkurrenz der Arbeitsgruppen um gute Doktoranden generiert. Des Weiteren hat man mehr Zeit für den Aufbau von Beziehungen innerhalb der Fakultät. Auch ein intensiver, systematischer Kontakt mit den Peers in der Graduate School und auf organisierten Gelegenheiten zum informellen Austausch wie den Student oder Faculty Clubs helfen. Hier bespricht man vielleicht das Promotionsprojekt oder einfach auch das alltägliche Leben. Insgesamt läuft man als Doktorand in den USA nicht so sehr Gefahr, in seinem Kämmerchen vor sich hin zu brüten, wie bei einer Individualpromotion in Deutschland.

Auch weil die Betreuung ganz anders geregelt ist?

Ja, multiple Betreuung bedeutet, dass man über den Hauptbetreuer hinaus stets weitere Betreuer und Mentoren im eigenen Fachbereich, aber auch davon unabhängige weitere Ansprechpartner hat. Letztlich ist die Abhängigkeit von einem einzelnen Betreuer in den USA tendenziell geringer – auch weil der Promotionsverlauf in den Graduate Schools stark formalisiert ist. 

Dann müsste die Qualität der verschiedenen Graduate Schools doch relativ ausgeglichen sein, oder?

Nein, es gibt große Unterschiede bei den Promotionsbedingungen, auch im gleichen Fach. Es variieren zum Beispiel der Schwierigkeitsgrad für die Annahme an der Graduate School genauso wie die finanziellen Rahmenbedingungen für die Doktoranden – in der Höhe der Stipendien, ihrer Verfügbarkeit und dem Umfang der verlangten Gegenleistungen. Es empfiehlt sich also auf jeden Fall, sich sehr gut über die verschiedenen Institutionen, Arbeitsgruppen und jeweilige Promotionsbedingungen im Vorfeld zu informieren und die Wahl gezielt zu treffen. Die Rahmenbedingungen hängen meistens mit dem Ruf der Einrichtung zusammen.

Welche Rolle spielt der Ruf denn?

Innerhalb der USA kommt es bei späteren Job-Bewerbungen sehr darauf an, an welchem Institut und in welcher Arbeitsgruppe, in welchem Labor oder bei welchem Mentor man seinen PhD gemacht hat. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass in den USA der Mehrwert einer Promotion als solcher von dieser Wahl abhängig ist. Grundsätzlich gilt es, dass Absolventen renommierter Hochschulen, die bei angesehenen Professoren promoviert haben, später eine größere Auswahl bei der Jobsuche haben werden. 

Und wenn man von vorneherein weiß, dass man nach Deutschland zurück möchte?

Man sollte schon grundsätzlich dafür offen sein, auch nach der Promotion in den USA zu leben. Wenn man an einer Karriere in Deutschland interessiert ist, ist es üblicher, erst den Doktor in Deutschland zu machen und dann für einen Postdoc in die USA zu kommen. Dann muss man in den USA nicht noch einmal Kurse belegen, sondern kann direkt in die gewählte Arbeitsgruppe einsteigen.  

Was macht es aus Ihrer Sicht besonders reizvoll, in den USA zu promovieren?

Hier gibt es die besten Labore der Welt, Verknüpfungen zur NASA, zu Google, Facebook und anderen innovativen Unternehmen. Es gibt hier die besten Universitäten, die meisten Nobelpreisträger und eben auch die beste Forschungsfinanzierung. Nicht zu vergessen ist das deutlich internationalere Umfeld: Circa 30 Prozent der Promovierenden in den USA sind keine US-Bürger. In Deutschland liegt der Anteil der Ausländer unter Doktoranden nur bei circa 13 Prozent. 

Und was spricht gegen eine Promotion in den USA?

Problematisch macht es der frühere Zeitpunkt einer zudem recht aufwändigen Bewerbung, eine starke Konkurrenz bereits bei der Zulassung, die Prüfungen im Promotionsverlauf sowie die deutlich längere Promotionsdauer – man braucht wirklich einen langen Atem. Auch privat gesehen ist es ein großer Schritt: Man entscheidet sich, eine recht lange Zeit im weit gelegenem Ausland ohne Familie und auf sich selbst gestellt zu verbringen. Wenn man übrigens plant, eine Familie zu gründen, sollte man darauf achten, ob die Universität oder das Institut Angebote zur Familienförderung hat, etwa einen Kindergarten. Die Unterstützung für Familien mit Kindern ist leider meist minimal. 

Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht der Doktorgrad in den USA im Gegensatz zu Deutschland?

Der Doktorgrad erfüllt in beiden Ländern eine unterschiedliche Funktion. In den USA hat er gesellschaftlich kaum Stellenwert, man macht einen PhD um Professor und/oder Forscher zu werden und nicht um einen Konkurrenzvorteil im Wettbewerb um Leitungspositionen in Privatwirtschaft oder öffentlichem Dienst zu erlangen. In Deutschland hat er meiner Ansicht nach eine polyvalente Funktion und wird auch als Talentsignal für Führungspositionen verstanden.

Und wie einfach ist es mit der Anerkennung des in den USA erworbenen Titels in Deutschland? 

Was die Führung des PhD-Grades in Deutschland betrifft, hat die Kultusministerkonferenz Grundsätze zur Führung ausländischer Hochschulgrade verfasst. Der PhD wird demnach hinter dem Namen geführt und kann in Deutschland ebenfalls ohne weitere Zusätze als Dr. geführt werden, sofern die verleihende Einrichtung in den USA von der Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching als Forschungsuniversität mit sehr hoher oder hoher Forschungstätigkeit eingestuft wird. Es kommt also auch hier auf die gradverleihende Institution stark an. Eine formalisierte Anerkennung in dem Sinne gibt es nicht.

Was muss man über das Aufnahmeverfahren wissen? 

Man muss sich frühzeitig informieren und bewerben, denn die meisten Promotionsprogramme fangen nach dem Bachelor an. Auch ist das Aufnahmeverfahren mit dem Einreichen vieler Unterlagen und dem Ablegen mehrerer Tests wirklich umfangreich und stark selektiv angelegt. Im Durchschnitt bekommt nur etwa jeder vierter Bewerber einen Platz im Doktorandenprogramm. Bei renommierten Institutionen und begehrten Studiengängen kann es durchaus noch deutlich weniger sein. In der Anglistik an der Columbia University in New York sind beispielsweise pro Jahr von circa 700 Bewerbungen nur 16 erfolgreich.

Worauf muss ich mich noch einstellen? 

Die formale Grundvoraussetzung für die Zulassung in eine Graduate School ist der Bachelorabschluss. Darüber hinaus greifen Auswahlkriterien wie die Durchschnittsnote des Bachelorstudiums und das Ergebnis des flächendeckend von den Hochschulen genutzten Eignungstests GRE (Graduate Record Examination). Dieser wird in manchen Disziplinen durch einen fachspezifischen Test ergänzt. Man kann diese Tests auch in großen deutschen Städten wie Berlin, Hamburg, Frankfurt oder München ablegen. Dann werden üblicherweise noch zwei bis drei Gutachten von Professoren aus dem Bachelorstudium benötigt, ein Lebenslauf, Motivationsschreiben und Essays oder Arbeitsproben, ein Nachweis bereits erfolgter Forschungstätigkeit und das Ergebnis des Tests of English as a Foreign Language („Toefl“). Der Toefl ist dabei der einzige spezifische Nachweis, der bei ausländischen Bewerbern zusätzlich zum ansonsten gleichen Bewerbungspaket eingereicht wird. Und dann gibt es noch Auswahlgespräche.

Wenn es denn tatsächlich geklappt hat, wie sieht es mit der Finanzierung aus?

Promovierende in den Lebenswissenschaften finanzieren sich in den USA hauptsächlich über Stipendien und Drittmittel, Doktoranden in den Ingenieurswissenschaften vor allem über Stellen als Forschungsassistenten, in den Geisteswissenschaften ist die Hauptfinanzierungsquelle eine Anstellung als Lehrassistent. Grundsätzlich gilt auch beim Thema Finanzierung, dass man nur an die besten Institutionen gehen sollte, da man dort ausreichend bezahlt wird, gute Ressourcen für die Forschung zur Verfügung hat, und nicht mit zu viel promotionsfernen Zusatzaufgaben beauftragt wird.

Unterm Strich: Wann lohnt sich also eine Promotion in den USA und wann würden Sie abraten?

Wenn man an exzellenter Forschung und einer entsprechenden akademischen Laufbahn in den USA interessiert ist, dann macht eine Promotion in den USA Sinn. Dies gilt besonders für die Lebenswissenschaften oder für die IT, da es hier die in diesen Bereichen besten Forscher und eine gute Anknüpfung an die zugehörige Industrie gibt. Ist man nicht primär an einer akademischen Karriere oder daran interessiert, in die Forschung zu gehen, dann sollte man sich eine Promotion in der USA wirklich sehr genau überlegen.